Caroline Kemps de Escalante

Autorin und freie Lektorin                        

Kurzgeschichten (eine Kostprobe)

Asche zu Asche - DWG Skara Brae, Jongleur, Fischdose

Der Bus kam auf der Aussichtsplattform von Skara Brae zum Stehen und schüttete eine Flut von Touristen aus. In dem Gewühl fiel es nicht auf, dass sich Lisbeth, eine Frau mittleren Alters, abseits der Ruinen an der Mauer entlangschlich. In der Hand eine Fischdose setzte sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Vor dem Hauptportal blieb sie stehen und sah sich um. Ihre roten Locken tanzten im Wind. Keiner nahm von ihr Notiz und sie setzte ihren Weg unbemerkt fort. Am Rande eines Felsens blieb sie stehen und hielt ihr Gesicht gegen die Sonne. Die Augen geschlossen drückte sie die notdürftig verschlossene Dose wie einen Schatz an ihr Herz.


„Kann ich Ihnen helfen?“ Eine sanfte Stimme schlug im Gleichklang mit den Wellen in Lisbeths Ohr. Langsam drehte sie den Kopf zur Seite und sah in ein freundliches Gesicht, dass zu einem stattlich gebauten Mann gehörte. Graues fülliges Haar ließen ihn jünger erscheinen, als er vermutlich war. 


„Ich habe Asche in dieser Dose und möchte sie im Meer verstreuen.“  


Der Mann nickte stumm und knetete nachdenklich seine Hände. „Wer ist gestorben?“, fragte er leise. 


Lisbeth seufzte. „Ich.“ Ein Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. „Mein altes Ich. Ich habe mein Tagebuch verbrannt und mit ihm unliebsame Erinnerungen. Ich fühlte mich wie ein Jongleur, dem die Bälle entglitten waren. Dieser Ort ist magisch. Ab und zu kam ich hierher, wenn ich meinte in einer Sackgasse zu stecken. Er gibt mir Kraft, loszulassen.“


Der Blick des Mannes ruhte auf der Fischdose. 


„Ich hatte gerade nichts anderes“, lächelte sie. „Aber warum erzähle ich Ihnen das alles?“


„Weil Worte heilen.“


Lisbeth blickte zur Seite und kniff die Augen zusammen. Der Platz neben ihr war leer. Anstelle des Mannes lagen auf dem Boden fünf bunte Jonglierbälle. „Jetzt drehe ich komplett durch,“ murmelte sie. Durch einen Windstoß angetrieben, rollte einer der Bälle zu ihr und stieß an ihre Schuhspitze. 


Es wurde Zeit. Mit einem tiefen Atemzug streckte sie die Fischdose von sich. Der Wind blies ihr in den Rücken und ihre Haare vor das Gesicht. Feierlich ergriff sie die Öse und rollte den Deckel auf. Die Asche stieg augenblicklich auf und wirbelte von ihr fort aufs offene Meer.


Toast Hawaii

Wie Kleister liegt eine unsichtbare Schicht auf meiner Lunge und macht mir das Atmen schwer. Mein Geschmackssinn hat sich verabschiedet. Jeder Bissen, jeder Schluck Wasser schmeckt wie Pappe und zwängt sich durch meinem angeschwollenen Hals in einen zugeschnürten Magen. Zusammen mit dem Lachen, dass ich bis vor kurzem dieser Hysterie entgegengebracht habe, bleibt jeder Bissen stecken.

Ich fühle mich hundeelend und noch dazu von allen guten Geistern verlassen. Seit ein paar Tagen sprechen meine Haushaltsgeräte zu mir. Ralf, mein Toaster ist besonders hartnäckig. Es müsste mich beunruhigen. Tut es aber nicht. Ich bin dankbar, nicht alleine zu sein. Endlich jemand, der mich versteht. Er ist so anders, als meine Freunde in der Bodega, meiner Stammkneipe. Für Ralf werfe ich mich ab und zu in mein Vamp Outfit und

singe ihm traurige Lieder vor.

Ein Blick in den Spiegel zeigt mir eher einen Vampir. Meine Haare stehen mir strähnig vom Kopf ab und dunkle Augenringe umrahmen den trüben

Blick. Die blutrote Federboa bringt mein schneeweißes Gesicht zum Leuchten.

 

Auf meiner Stirn könnte ein Spiegelei braten und alleine der Gedanke hämmert dumpfen Schmerz in meine Schläfen. Die wilden Träume machen mich doppelt fertig. Es ist schon so weit, dass ich mich auf den Besuch der Mitarbeiter des Gesundheitsamts freue.

Obwohl jeder Ton in dumpfen Wellen durch mich hindurchschlägt, dämmt es doch für einen Augenblick die Leere, die dieser Zustand mit sich bringt.

Das Wattestäbchen kommt mir wie eine Tatwaffe vor, wenn sie es mir in die Nase bis an den hintersten Winkel bohren.

Immer noch positiv.

Ich könnte kotzen.

Mein Magen stimmt mir augenblicklich zu und bringt mit einem lauten Würgen die Errungenschaften des heutigen Tages wieder ans Licht.

 

Aus der Ferne höre ich Stimmen. Ins Krankenhaus möchte ich nicht. Wie soll ich den Mitarbeitern erklären, dass ich keinen Schritt ohne Ralf aus dem Haus gehe. Dann wird es schwarz um mich. Nur mein Toaster glüht aus weiter Ferne und spricht mir Mut zu.

 

„Genug geschlafen, Dornröschen?“, seine warme Stimme brummt durch meinen Körper.

Wie lieb von Ralf, dass er mich weckt. Anstelle meines Toasters schauen mich durch Plexiglas große grüne, mit braunen Sprenkeln versehene Augen an.

Ich möchte etwas sagen, doch Grünauge legt beschwichtigend den Arm auf meinen.

Passend zu meinem galoppierenden Herzschlag piept es über mir.

„Ich bin Ralf,“ stellt sich der Pfleger vor. „Wir hatten anregende Gespräche in deinem Fieberwahn.“

Der Mundschutz hebt sich unter seinem Lächeln und feine Grübchen zeichnen sich an seinen Augenwinkeln ab. „Jetzt ist Schluss mit Lustig, mein Lieber. Du hast den Mist überstanden.“

Mein Herz macht einen Satz. Wenn ich hier raus bin, lade ich Ralf zu einem Toast Hawaii in die Bodega in. Dafür hat sich der Irrsinn gelohnt.


Nett sein für Anfänger

In Gedanken versunken laufe ich die Atlantik Chaussee entlang. An einem Schaufenster bleibe ich wie angewurzelt stehen. Habetrot -Vintage steht in geschwungenen Lettern über der Eingangstür. Ein Spinnrad rundet den Namen ab.

Der armen Schaufensterpuppe hat man den Garaus gemacht. Ohne Kopf, Arme und Beine ist sie auf einer Stange aufgespießt und spiegelt mein Inneres. Kopflos und leer. Diese Bluse mit seinem asymmetrischen Schnitt, in dieser traumhaften himmelblauen Farbe könnte mir helfen. Jedenfalls für den Augenblick.

 

Ich betrete den Laden und mir steigt der besondere Geruch von Edel Second Hand in die Nase. Zielstrebig steuere ich auf das Objekt der Begierde zu und strecke feierlich die Hand aus.

„Nichts anfassen“, tönt es und ich zucke unter der näselnden Stimme zusammen. Ich lasse die Hand sinken und drehe mich um. Eine ältere Verkäuferin in einem enganliegenden schwarzen Kleid und kunstvoll aufgestecktem angegrautem Haar, starrt mich über den Brillenrand an. Der rotgeschminkte Mund gibt dem dunklen Outfit eine besondere Note. Ich ducke mich innerlich unter ihrem prüfenden Blick und nuschle eine Entschuldigung. „Die Bluse hat es mir angetan.“

Ihrer strengen Miene nach zu urteilen, tut sie mir gleich etwas an. „Die ist eher was für Zierliche.“

Ich öffne den Mund, um untertänigst nach meiner Größe zu fragen, da fällt sie mir ins Wort. „Wir haben hier nichts aus der Retorte. Alles Einzelstücke.“

Sie erhebt sich von ihrem Bürostuhl. Jeden Schritt, den sie sich auf mich zu bewegt, lässt mich gefühlt noch mehr in die Breite gehen.

„Sie können es gerne anprobieren.“ Gönnerhaft hebt sie eine Augenbraue. Ich verzichte kleinlaut.

Aus der Umkleidekabine meldet sich schüchtern eine Kundin. „Die Hose passt nicht. Ich komme nicht raus.“

Gelangweilt stolziert die Dame auf ihren Platz.

„Ja, bleiben Sie lieber, wo Sie sind. Da hat ja keiner was von.“

Der imaginäre Pudding verschwindet augenblicklich von meinen Hüften.

„Schon mal über ´ne Fortbildung „Nett sein für Anfänger“ nachgedacht? Gut fürs Geschäft.“

Aus der Umkleidekabine dringt ein Kichern.

Perplex öffnet die Frau den rot geschminkten Mund zu einer Erwiderung. Lippenstift klebt an ihren Zähnen.

Beschwingt verlasse ich die ungastliche Stätte ohne eine Antwort abzuwarten. Ich bin fest entschlossen, heute Abend die Nähmaschine zu bemühen. Dann spinne ich mir mein Glück eben selber.