Kurzgeschichten (eine Kostprobe)
Die Wege des Herrn
Pater Anselm lehnte sich in seinen Sitz zurück und genoss den Anblick des Ärmelkanals, auf dem die Schiffe darauf wirkten wie im Spielzeugland. Das Brummen der Triebwerke schläferte ihn ein. Seine Hand umschloss das Weinglas. Die Gedanken flossen langsam. Diese Momente der Stille schätzt er sehr.
„Ist das die Themse?“ Seine Sitznachbarin schob sich an ihm vorbei und versperrte ihm die Aussicht. Auf ihrem Shirt prangte eine aus Gold Pailletten bestickte Krone. Er drückte sich nach hinten, um dem ungebetenen Gast Platz zu machen. Die Aussicht gehörte schließlich nicht nur ihm. Geben ist seliger denn nehmen. Predigte er das nicht regelmäßig seinen Gemeinden? Zugegeben kostete es ihn nun Überwindung. „Gute Frau, wir überqueren längst den Ärmelkanal.“
Ihre wilden blonden Locken kitzelten ihm im Gesicht.
„Ach.“ Sie sank in ihren Sitz und sah den Pater an. Anselm seufzte. „Die Wege des Herrn sind unergründlich“, sagte er und kippte den Rotwein herunter. Die Maschine sackte in ein Luftloch. Die Frau schrie auf und klammerte sich an den Lehnen fest. Ihre eben noch so wachen Augen füllten sich mit Tränen. „Warum sagen Sie so etwas?“ Ihre Unterlippe zitterte.
Pater Anselm drehte sich zu der Frau um. „Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich wäre nur so gerne für mich.“
„Ich habe Flugangst“, stieß sie hervor. Der Flug wurde wieder ruhiger. Gleichmäßiges Brummen legte sich über die Kabine. Sie brauchte einige Anläufe, um ihre Handtasche zu öffnen und zog einen dunkelroten Tanga hervor, mit dem sie sich fahrig über das Gesicht fuhr. Sie schluckte und stopfte den Slip zurück in ihre Tasche, ohne einen Blick darauf zu werfen. Der Pater schmunzelte beim Anblick der Taschentuchpackung, die darunter lag.
„London war eine Kurzreise?“, versuchte er abzulenken.
„Ich hätte gerne für die Queen gearbeitet, doch ich war zu spät.“ Sie lächelte zaghaft. „Stattdessen darf ich zu einem Pfaffen nach St. Pauli. Aber wie sagten Sie so schön? Die Wege des Herrn… .“ Sie stockte. „Ich habe Sie hoffentlich nicht beleidigt?“
Pater Anselm warf den Kopf in den Nacken und lachte. „Wenn Sie Irina Busch sind, kreuzen sich unsere Wege.“
Ihr Gesicht nahm die Farbe des Rotweines an, und sie rückte von ihm ab. „Woher….?“
„Das ist der Name meiner neuen Haushälterin im Pfarrhaus.“ Er streckte der verdutzen Frau die Hand entgegen und stellte sich vor. „Herzlich willkommen.“
Für immer die Deine
Mit einem lauten Klatschen landete das mitgebrachte Sodukuheft an der Wand und flatterte zu Boden. Ein Weinblatt löste sich aus den Seiten und blieb vor Hannes´s Fuß liegen. Mit einem Blitzen in den Augen starrte er es an. In seiner Seele tobte ein Sturm, der seine Seele wegzuwehen drohte. Er krallte sich mit den Fingernägeln in den Arm.
„Ausgerechnet ein Winzer. Das ist nicht dein Ernst.“
Linda sah ihn mitleidig an, was ihn nur noch wütender machte.
„Jaques und ich sind füreinander bestimmt. Du hast mir doch geraten, einen Brief in das Astloch zu legen?“
Er drehte sich weg und trat auf das Weinblatt. „Und unser Schwur an der Bräutigamseiche? Für immer die Deine?“
Linda setzte den Koffer ab und drehte sich zu ihm um. „Ich bin immer für dich da, das weißt du. Aber lass mir mein Leben.“
Sie setzte einen Schritt auf ihn zu und nahm ihn in den Arm. „Hiltrud wird sich um dich kümmern. Zur Hochzeit holen wir dich. Dann, schauen wir, ob wir in der Bräutigamseiche einen Brief für dich finden.“ Aufmunternd lächelte sie ihm zu und trat zurück. An der Tür winkte sie ein letztes Mal, bevor diese mit einem leisen Klicken ins Schloss fiel.
Hannes sank auf den Stuhl und ließ seinen Tränen freien Lauf. Von wegen Weinen wäre eine Heilung. Die Wunde in seinem Herzen kurierte es nicht. Im Gegenteil, der Druck nahm zu. Wimmernd legte er seinen Kopf auf die Unterarme und hoffte, dass der Schlaf ihn hier am Tisch überrollte. Mehr noch, wenn der Tod ihn holen würde, er ginge ohne Widerstand mit.
Eine sanfte Stimme riss ihn aus einem Traum. „Herr Hannes, wachen Sie auf. Es ist Zeit fürs Abendbrot und Medikamente.“
Mühsam richtete er sich im Stuhl auf und Hiltrud stellte ein Tablett vor ihm ab. Er versank in ihren großen blauen Augen, die von der Farbe ihres Kittels noch mehr zum Leuchten gebracht wurden. „Ich habe keinen Hunger.“
„Haben Sie wieder von der Bräutigamseiche geträumt?“
„Linda heiratet einen Winzer“, brummte er als Antwort.
Hiltrud klopfte Hannes auf die Schulter. „Das freut mich. Haben Sie ihn schon kennengelernt?“
„Das ist bestimmt ein Säufer. Ich konnte doch nicht ahnen, dass Linda den Brief in dem Astloch ernst meinte. Sie ist meine Kleine. Das hat sie mir geschworen.“
Hiltrud nickte. „Da war sie sieben, richtig? Jetzt ist sie fünfunddreißig und strahlt. Ist es nicht das Schönste für einen Vater?“
Nett sein für Anfänger
In Gedanken versunken laufe ich die Atlantik Chaussee entlang. An einem Schaufenster bleibe ich wie angewurzelt stehen. Habetrot -Vintage steht in geschwungenen Lettern über der Eingangstür. Ein Spinnrad rundet den Namen ab.
Der armen Schaufensterpuppe hat man den Garaus gemacht. Ohne Kopf, Arme und Beine ist sie auf einer Stange aufgespießt und spiegelt mein Inneres. Kopflos und leer. Diese Bluse mit seinem asymmetrischen Schnitt, in dieser traumhaften himmelblauen Farbe könnte mir helfen. Jedenfalls für den Augenblick.
Ich betrete den Laden und mir steigt der besondere Geruch von Edel Second Hand in die Nase. Zielstrebig steuere ich auf das Objekt der Begierde zu und strecke feierlich die Hand aus.
„Nichts anfassen“, tönt es und ich zucke unter der näselnden Stimme zusammen. Ich lasse die Hand sinken und drehe mich um. Eine ältere Verkäuferin in einem enganliegenden schwarzen Kleid und kunstvoll aufgestecktem angegrautem Haar, starrt mich über den Brillenrand an. Der rotgeschminkte Mund gibt dem dunklen Outfit eine besondere Note. Ich ducke mich innerlich unter ihrem prüfenden Blick und nuschle eine Entschuldigung. „Die Bluse hat es mir angetan.“
Ihrer strengen Miene nach zu urteilen, tut sie mir gleich etwas an. „Die ist eher was für Zierliche.“
Ich öffne den Mund, um untertänigst nach meiner Größe zu fragen, da fällt sie mir ins Wort. „Wir haben hier nichts aus der Retorte. Alles Einzelstücke.“
Sie erhebt sich von ihrem Bürostuhl. Jeden Schritt, den sie sich auf mich zu bewegt, lässt mich gefühlt noch mehr in die Breite gehen.
„Sie können es gerne anprobieren.“ Gönnerhaft hebt sie eine Augenbraue. Ich verzichte kleinlaut.
Aus der Umkleidekabine meldet sich schüchtern eine Kundin. „Die Hose passt nicht. Ich komme nicht raus.“
Gelangweilt stolziert die Dame auf ihren Platz.
„Ja, bleiben Sie lieber, wo Sie sind. Da hat ja keiner was von.“
Der imaginäre Pudding verschwindet augenblicklich von meinen Hüften.
„Schon mal über ´ne Fortbildung „Nett sein für Anfänger“ nachgedacht? Gut fürs Geschäft.“
Aus der Umkleidekabine dringt ein Kichern.
Perplex öffnet die Frau den rot geschminkten Mund zu einer Erwiderung. Lippenstift klebt an ihren Zähnen.
Beschwingt verlasse ich die ungastliche Stätte ohne eine Antwort abzuwarten. Ich bin fest entschlossen, heute Abend die Nähmaschine zu bemühen. Dann spinne ich mir mein Glück eben selber.